dana greiner

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ILINX

Opening Friday 5 Sept. 6-9pm

Pressetext

Interview Anne Vieth mit Dana Greiner über die Ausstellung ILINX

Anne Vieth:
Die Ausstellung trägt den Titel Ilinx und verweist damit auf eine einflussreiche Spieltheorie des 20. Jahrhunderts. Der französische Soziologe Roger Caillois unterschied in seiner Publikation „Die Spiele und die Menschen“ (1958) grundsätzlich vier verschiedene Arten des Spiels, von denen in vielen Spielen auch mehrere Aspekte zugleich vorkommen. Von den Grundformen agon (Wettkampf), alea (Zufall), ilinx (Rausch), mimikry (Maskierung) hast du als Leitmotiv deiner Präsentation das Rauschhafte, also jene Momente des Spielens gewählt, in denen ein Gefühl der Desorientierung einsetzt. Was hat dich an diesem Zustand grundsätzlich, was im Besonderen mit Blick auf deine künstlerische Praxis interessiert?
Dana Greiner:
Freiheit ist der unabdingbare Motor des Spiels – und natürlich auch der Kunst. Farbe ist Spiel, Bewegung ist Spiel. Selbst das Formulieren eigener Regeln innerhalb dieser Freiheit ist ein Spiel.
Das Rauschhafte in meiner Arbeit liegt genau in diesem Spannungsverhältnis: im Versuch, Bildformen zu fixieren, während sie sich noch in Bewegung befinden. Sie einzufangen wie ein Irrlicht oder sie, im Gegenteil, einem tatsächlichen Verlauf auszusetzen.
Dieses scheinbar mühelose Zusammenfügen und Trennen eigener Bildwelten erzeugt eine Dynamik, in der sich Bedeutungen verschieben, neue Bezüge entstehen und bestehende Ordnungen unterlaufen werden – etwa durch das Ineinandergreifen vergangener und gegen­wärtiger Bildelemente, durch Kinetik oder durch Anamorphosen. Am Ende entsteht ein Zustand, der intuitiv wirkt, aber einem inne­ren Regelwerk folgt. Eine Ordnung, die nicht vorab konstruiert ist, sondern erst im Vollzug sichtbar wird, auch im Dialog mit den Betrachter*innen.
Ein Beispiel dafür ist Arboreal, eine Arbeit aus 196 bemalten Glasbausteinen, die sich mit jeder Interaktion verändert. Einzelne Steine der zusammenhängenden Arbeit stehen zum Verkauf, Platzhalter ersetzen die fehlenden. Es entsteht der Eindruck eines Schiebepuzzles. Das Werk bleibt formal bestehen, verändert aber stetig sein Erscheinungsbild, löst sich Stück für Stück auf, ohne je vollständig zu verschwinden.
Ein weiteres Beispiel ist Clandestine Encore, eine gerahmte Plexiglas­arbeit, die durch das programmierte Öffnen und Schließen eines be­druckten Vorhangs das Bild erweitert oder vollständig verdeckt. Der Ausstellungstitel Ilinx war für mich dabei weniger ein Konzept, als ein Begriff, der bereits in den Arbeiten selbst angelegt war. Er be­schreibt für mich weniger ein theoretisches Raster als vielmehr eine Haltung gegenüber Bewegung, Instabilität und Wahrnehmung. Diese Haltung zeigt sich auch in anderen Projekten, etwa in Lüde in Ekcten, einem abstrakten Theaterstück, das statische Werke mit Projektionen, selbstkomponierter Musik und Skulpturen im Raum in immer neue Bezüge setzt. Jeder Akt entwickelt eine eigene, ganz intuitive Dramaturgie.
Die Spieltheorie von Roger Caillois hat mich deshalb besonders angesprochen: Sie beschreibt etwas, das sich mit künstlerischem Denken grundlegend überschneidet, einen inneren Impuls, der sich in Bewegung setzt, ohne auf ein konkretes Ziel hinzuarbeiten. Einen Motor, in dem Anfang und Ende ineinander übergehen.
Diese Bewegung kann Beobachtung sein, Entfaltung, Infragestellung, Herausforderung, Wiederholung, Schöpfung – auch Scheitern.
Solche Zustände sind flüchtig, oft widersprüchlich, aber zentral für das Entstehen von etwas Neuem. Sie prägen sowohl das Spiel als auch die Kunst. Caillois unterscheidet vier Grundformen: agon, den strukturierten Wettkampf, alea, das Spiel mit dem Zufall, mimikry, die Maskierung – und schließlich ilinx, den rauschhaften Taumel, das Moment der Vertigo. Diese vier Formen stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern greifen ineinander wie kontrapunktische Stimmen. Sie bilden keine lineare Ordnung, sondern ein System durchlässiger Sektoren: Zwischen dem Disziplinierten und dem Entgrenzten, dem Regelhaften und dem Exzessiven entstehen Übergänge, Räume, in denen sich das Künstlerische ebenso bewegt wie das Spielerische.
Anne Vieth:
Viele deiner Werke und Installationen weisen filmische, musikalische und theatrale Momente auf. Ich würde zusammenfassend von einem inszenatorischen Interesse sprechen, das gezielt gegen Kategorisierungen arbeitet. Wie näherst du dich den verschiedenen Disziplinen an und wie gehst du zugleich mit Theorien wie denen von Caillois um, die ja durchaus auf dem Prinzip der Unterteilung gründen?

Dana Greiner:
Ist es nicht immer faszinierend, wenn sich in so etwas wie einem Spiel etwas tief Ernstes hineinmischt?
Dass Caillois ein fast 300–seitiges Werk darüber geschrieben hat, wie man das Spiel einordnen kann, ist für sich genommen schon eine Großartigkeit.
Und diese vier Kategorien, denen man sich, manchmal fast horoskop­haft, annähern kann, weil sie vielleicht das eigene Naturell besser beschreiben als andere. Dass mich ilinx mehr interessiert als agon, ist jedenfalls eindeutig. Ich würde sogar sagen, dass ich mit dem Ernst, den Caillois dem Spiel entgegenbringt, ein verbreitetes Missverständnis gegenüber meiner Arbeit beantworten kann: das Missverständnis, dass das Spielerische bloß Oberfläche ist. Mich interessiert das Ernsthafte im Spiel – genauso wie das Spielerische im Ernsthaften. Diese Haltung begleitet viele meiner Entscheidungen. Und Kunst besteht zu großen Teilen aus getroffenen Entscheidungen. In meiner Arbeit wird zum Beispiel die Farbwahl auf den ersten Blick manchmal als bloßer Pop gelesen, das Neon als schrill, die Form als konstruktivistisch. Aber man braucht das Intuitive für die Arbeit, das sie dann auch anders verständlich macht. Dies ist dann keine Kategorisierung, sondern dient der Ergänzung. Der Ergänzung eines beispielsweise multimedialen Werks, das gleichzeitig Tauziehen und Staffellauf bedeutet. Staffellauf im Hinblick auf die Möglichkeiten der verschiedenen Kunstformen und deren jeweilige naturgegebenen Grenzen – und Tauziehen um die Hoheit einzelner Akzente. Ich höre häufig, dass meine Arbeit jeman­den berührt hat, und das freut mich. Denn ich selbst empfinde oft einen starken Ernst – manchmal auch Schmerz – während der Arbeit. Manche Werke sind natürlich keck, andere eher verkopft. Aber hier sieht man, dass sich die Kategorien, wie bei Caillois gewissermaßen überlappen und wenn nötig an komplementärer Stelle aneinander bedienen und sich gleichzeitig dort, wo die Grenzen feststehen ganz unverbündbar zeigen. Musik, Bewegung, Bild, Text, Objekt – sie stehen nicht nebeneinander, sondern treten in einen Verlauf, der sich fortschreibt, neu sortiert, verschiebt. So entstehen Momente, die intuitiv wirken, aber einer inneren Ordnung folgen, die sich erst im Tun offenbart.
Anne Vieth:
Was ist es, was dich an der Rahmung deiner Werke fasziniert. Da gibt es die gestalteten bzw. farblich auf die Komposition abgestimmten Rahmen, die Kniefallrahmen, die 3-D-Druck-Rahmen der neueren Arbeiten und im Grunde sind ja auch die Werke mit Vorhängen spezifisch gefasst. In der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wurde der Rahmen auf vielfältige Weise reflektiert und vor allem als werkgenerierendes Element verstanden. Ich bin immer glücklich, wenn Künstler*innen die Rahmung vorgeben bzw. auch den ungerahmten Zustand als klare Setzung verstehen. Denn auch am Rahmen werden so elementare Diskussionen wie die des autonomen Kunstwerks und des Ausstiegs aus dem Bild verhandelt.

Dana Greiner:
Angefangen hat das an der Kunstakademie, als ich begonnen habe, Rahmen mit einfachsten Mitteln selbst zu bauen, oft ohne Gehrung, meist aber auch schon lackiert. Manche waren größer als der Keilrahmen und ragten nach vorn, um die Malerei über die Bildfläche hinaus zu erweitern, andere liefen exakt auf Kante nach hinten, um Tiefe zu erzeugen. Ich habe den Eindruck, dass manche Werke ganz nah an der Wand sein wollen – die brauchen dann keinen Rahmen. Andere streben förmlich nach vorn. Ein gerahmtes Bild wirkt für mich oft wie Teil einer übergeordneten Betonung. Der Rahmen eröffnet die Möglichkeit, das Bild skulptural zu denken, ihm eine zusätzliche Ebene zu geben – ob exzentrisch, zurückhaltend, erhaben oder verspielt. Man kann sehr symbolisch mit Rahmen umgehen, etwa Farbebenen über sie hinaus in neue Achsen führen oder durch die Rahmung selbst eine Art Herrschaft über die Wand etablieren. In solchen Momenten ist der Rahmen beinahe wie ein Zepter – selbst die zurückhaltendsten Versionen emanzipieren sich auf andere Weise von der Wand als eine Leinwand es könnte.
In meiner Arbeit haben Rahmen tatsächlich eine sehr eigenständige Funktion. Bei den Kniefallrahmenbildern etwa sind es zwei lackierte Holzgestelle in Lebensgröße, die einander gegenüber knien. In den Holzkörpern sind Plexiglasarbeiten eingespannt; eine Mischung aus Malerei und Skulptur. Die beiden Werke fokussieren sich aufeinander, lassen keinen Raum, um sie frontal zu betrachten. Man muss sie umrunden, erlebt sie körperlich und bemerkt dabei, dass sich die Kategorien von Medium und Rahmung zunehmend auflösen.
Was ursprünglich als Einfassung gedacht war, wird zum Werk selbst.
Meine neuesten Arbeiten haben auch einen sehr präsenten Rahmen, der wesentlicher Bestandteil des Werkes ist. 3D gedruckte PETG Rahmen, die unterschiedliche Formen annehmen und teils das Bild in der Rahmung fortsetzen. Einige dieser Arbeiten gehören zur Caillois-Reihe, die sich in Farbe und eingefügtem Schriftzug unterscheiden und nach den vier Hauptbegriffen seiner Spieltheorie benannt sind – gewissermaßen Hauptwerke der Ilinx-Ausstellung.
Anne Vieth:
In den ausgestellten Bildern fällt auf, dass du mit vielen verschiedenen Malmaterialien arbeitest. Auf der Bildfläche lassen sich sehr vielfältige Haptiken erkennen – sei es der glatte Farbauftrag der sich überlagernden Flächen, der besondere Effekt von Enkaustik und Pastellkreide oder aber die fast „warzenartigen“ Erhebungen auf manch einem Bild. Nicht zu vergessen die Schleck-Bilder. Hast du auch auf Ebene der Maltechniken das spielerische Moment für dich entdeckt?

Dana Greiner:
Jedes Malmaterial ist eigenständig, gerade selbst angemischt. Mit
Pigment und den unterschiedlichsten Bindemitteln wird daraus ein ganz besonderer Akt. Ich habe schon früh angefangen, mit unter­schied­lichen Malmaterialien zu experimentieren. In der Akademie habe ich in alle Töpfe gegriffen, um meinen persönlichen Ausdruck durch das Aufeinandertreffen unterschiedlichster Medien zu finden.
Ich habe mit Latex, Epoxidharz, Enkaustik, Lacken, mit Eisen oder Haaren versetzten Acrylmedien oder purem Pigment gearbeitet und viele Rezepte aus dem Doerner Institut ausprobiert. Noch dazu habe ich das Glück, aus München zu kommen, mit einem wunderbaren Kremer Pigmente-Laden nebenan – das hat meinen Materialfetisch noch erweitert. Ich habe erkundet, wie ich mit geometrischen Figuren in Kombination mit unterschiedlichen Techniken und Medien die Abstraktion aufladen kann. Das Lasierende auf das Opake treffen zu lassen, das Matte auf das Glänzende – aber auch Assemblage-Techniken mit Hula-Hoop-Reifen, Watte, Polyesterfäden oder Kunsthaar habe ich früh eingesetzt.
Neu in meinen Arbeiten ist der flächige Auftrag von Pastellkreiden, die ich früher eher partiell und akzentuiert verwendet habe. Und ja, das „Schleckbild“ ist eine ganz neue Herangehensweise. In diesen Bildern schlecke ich die Form und sozusagen auch den Inhalt, der aus gegossenem Zucker besteht, zurecht. In der Ilinx-Ausstellung wird diese Arbeit zusätzlich mit Projektion und Sound erweitert.
Anne Vieth:
Die abschließende Frage richtet sich an die Motive: Deine Malereien würde ich auf den ersten Blick als Auseinandersetzung mit der Abstraktion beschreiben. In vielen Werken lässt sich zugleich eine Art Kreatürlichkeit entdecken. Kein unbekanntes Phänomen, aber dennoch würde mich interessieren, was bei dir „dahintersteckt“?

Dana Greiner:
Das Wort „Kreatürlichkeit“ gefällt mir sehr – und ja, es trifft zu. In meiner Arbeit liegt definitiv nichts rein Formalistisches. Es geht mir darum, den Charakter und die Wirkung eines Materials oder einer Form zu entschlüsseln und sie dann durch andere Beschaffenheiten komplex werden zu lassen. Es ist eine Art materialistische Psychoanalyse, die sich während des Malprozesses vollzieht.
Ich arbeite so lange, bis alle Farben und Formen ihren Platz gefunden haben – bis sie sich gegenseitig sowohl ergänzen als auch zerstören, jedoch nie die Kommunikation untereinander abbrechen. Es ist wie das Erschaffen einer sehr besonderen Persönlichkeit, an die man irgendwann selbst nicht mehr ganz herankommt.
Es ist das, was ich wohl benötige um das entsprechende und sich widerspiegelnde Gefühl von Ernst, Liebe, Ironie, Verletzlichkeit, Chaos und Spiel zu erschaffen, da ich einen Gegenpart brauche und dieser ist kreatürlich, da ich mit dem Bild kommunizieren muss und möchte.

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